Herbert Linge schwört auf Sicherheit – nicht nur auf der Rennstrecke

Der Gründer der O.N.S.-Staffel wird 90 Jahre

Tradition | | | | |

Leger sitzt Herbert Linge an einer Werkbank in seiner Garage im heimischen Weissach, den Ellbogen wie aus dem Fahrerfenster angewinkelt lässig auf die alte Holzwerkbank gelegt, erzählt er aus seinem bewegten Rennfahrerleben und dem Aufbau der O.N.S.-Sicherheitsstaffel, die den Anfang des Sicherheitsgedankens im Motorsport markiert. Die Augen: strahlend, als wäre er gerade erst in Pension gegangen.  Das Hemd kurzärmelig, so als müsste noch schnell eine kleine Wartung vorgenommen werden an einem O.N.S.-Staffelwagen und die Stimme: klar und kräftig. 90 Jahre wird Herbert Linge alt am 11. Juni. Ein Alter, das nur wenige Rennfahrer aus jener Zeit erreichen. Doch Sicherheit im Motorsport war ihm immer ein wichtiges Anliegen.

Gab es den einen Moment, den ganz speziellen Moment, indem Sie sich entschieden haben, sich für die Sicherheit im Motorsport einzusetzen?

„Nein. Das ist über die Jahre gewachsen. Mit jedem Unfall ist der Gedanke immer mehr gereift. In den 60er und 70er Jahren gab es fast bei jeder Veranstaltung einen schweren, oft auch tödlichen Unfall. Die Entwicklung der Rennstrecken konnte nicht mithalten mit der Entwicklung der Rennwagen, die immer schneller geworden waren. 1969 verunglückte mein Teamkollege John Woolfe mit seinem Porsche 917 gleich in der ersten Runde in LeMans. Ich war damals Sprecher des Sportfahrerkreises und die Fahrer kamen wieder auf mich zu – wie nach jedem Unfall – mit der Bitte: „Herbert, wir müssen da was machen. Du kannst das übernehmen.“ Was die Fahrer nicht wussten: Beim selben Rennen in Le Mans kam Ferdinand Piëch auf mich zu. Wir haben bei Porsche damals gerade das Entwicklungszentrum Weissach ins Leben gerufen. Piëch fragte mich, ob ich einen Vertrag als Rennfahrer oder einen Vertrag als Betriebsleiter der Werkstätten in Weissach haben wollte. Nun: Ich war über 40 Jahre alt, ich musste nicht lange überlegen. Sofort sagte ich zu als Leiter der Werkstätten. Das bedeutete zwar das Ende meiner Karriere als Rennfahrer, aber es gab mir die Möglichkeit mich ganz anders für Porsche und auch für die Sicherheit im Rennsport einzusetzen. Denn Piëch war es auch, der mich darin unterstützte, den O.N.S. 914 als Musterwagen umzubauen um meine Ideen von Streckensicherung im Motorsport vorstellen zu können.“

Sie haben dieses Rendezvous-System entwickelt, dass ja später auch im Straßenverkehr eingeführt wurde. Wie funktioniert dieses System genau?

„Es besteht letztendlich aus drei Komponenten. Wenn ein Unfall passiert, musste als erstes das Feuer bekämpft werden. Feuer war damals das Hauptproblem bei einem Unfall. Aber das muss schnell bekämpft werden, denn wenn nicht innerhalb einer Minute das Feuer in einem brennenden Unfallwagen gelöscht ist, sinken die Überlebenschancen des Fahrers rapide. Also mussten wir ein System entwickeln, mit dem man innerhalb einer Minute jeden Punkt der Rennstrecke erreichen kann. Wir haben also Streckenposten rund um die Rennstrecke postiert. Sobald ein Unfall geschah, mussten die los und löschen. Das waren die ersten am Unfallort, so war es auch beim Lauda-Unfall. Wenn wir nicht vorher das Feuer eingedämmt hätten, hätte niemand Niki Lauda aus seinem brennenden Auto herausziehen können. Diese Streckenposten nannten wir S-Wagen.

Bei einer Unfallmeldung fuhr gleichzeitig der R-Wagen los – das war viele Jahre der Porsche O.N.S. 914. In dem saß ein Notarzt. Dieser R-Wagen war der zweite an der Unfallstelle, war also der Zweite beim Rendezvous. Der Arzt konnte nun fachmännisch die Erstversorgung durchführen. Die dritten am Unfallort, erst ein wenig später, waren die Sanitäter und Feuerwehrleute mit den größeren Autos, also den Krankenwagen und Löschfahrzeugen. Die Sanitäter konnten dann den verletzten Fahrer im Krankenwagen abtransportieren.

Dieses Rendezvous-System, dass die Rettungskräfte zu unterschiedlichen Zeiten am Unfallort eintreffen, wurde später auch im Straßenverkehr eingesetzt. Der Notarzt fährt mit einem schnellen Auto zum Unfallort, der größere und langsamere Krankenwagen trifft später ein. Das ist heute noch so.“

Hier in der Garage steht ein Bild, das zeigt Sie mit Hans Hermann im Porsche 356 nach der Mille Miglia 1954. Hans ist damals gefahren, Sie haben navigiert. Hans Hermann hat das Bild signiert „Für den besten Beifahrer“. Im Rennsport stimmt das, aber wie ist es im Straßenverkehr. Sind Sie ein guter Beifahrer?

„Das schlimmste war für mich immer, wenn ich woanders einsteigen musste, dass mir der Fahrer dann zeigen wollte, wie gut er fahren kann. Ich habe in so einem Augenblick immer versucht zu erklären, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Rennstrecke und dem Straßenverkehr. Ich selber hatte Zeitlebens nie den Führerschein weg wegen zu schnellem Fahren. Ich hatte nie einen Punkt in Flensburg.“

Haben Sie noch einen Tipp für sicheres Fahren?

„Nun – letztendlich gibt es eine 100prozentige Sicherheit nicht. Wenn Du ein Rennen gewinnen willst, geht es ohne ein gewisses Restrisiko nicht. Wobei ich sagen muss, wenn ich mir die Entwicklung der Sicherheit im Motorsport anschaue, ist Rennen fahren heutzutage weniger gefährlich als Bergsteigen.“

Herr Linge, 90 Jahre ist ein stolzes Alter. Was wünschen Sie sich zu Ihrem 90. Geburtstag?

„Ich habe viele Dokumente gesammelt von der O.N.S. aus der Gründerzeit. Es wäre schön, wenn man diese Geschichte noch in irgendeiner Form dokumentieren könnte um sie zu erhalten für die Nachwelt. Noch sind auch viele aus der damaligen Zeit am Leben, die man fragen könnte. Die Geschichte der O.N.S.-Staffel in gebundener Form… das wäre schön.“

Herr Linge – danke für dieses Gespräch.

Interview Herbert Linge, Weissach am 20. April 2018
von Frank Wiesner

Mit diesem Film gratulieren wir Herbert Linge zu seinem 90. Geburtstag und danken ihm für seine Pionierarbeit in der Motorsportsicherheit:

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